Bevor wir heute morgen aus dem „Grundschul-Hotel“ auschecken, muessen wir schnell noch unseren Abschluss machen. Mir gelingt das auf Anhieb, magna cum laude natuerlich. Mutti muss leider zwei mal antreten und bekommt deshalb noch 1h Deutschunterricht von der Direktorin, die gleichzeitig auch die Chefin ist. Mit Haengen und Wuergen bekommt Mutti eine Empfehlung fuer die Mittelstufe. Zur Belohnung duerfen wir sogar in Euro bezahlen.

Los geht‘s. Heute wird verlegt. Unsere Kolonne muss von der Tatra ins Riesengebirge. Eine logistische Herausforderung fuer Mensch und Maschine. Das kann lustig werden. Tatsaechlich aber wird es steinig. Um genau zu sein 5-10mm. Das naemlich ist die Koernung, die der Split hier allerorten hat, den die Einheimischen in ihrer Freizeit auf den Strassen verteilen. Ein weit verbreitetes Hobby. Fuer uns aber eher ein Problem, das uns schon seit einigen Tagen begleitet. Waehrend Mutti den Split aufwirbelt, fange ich ihn mit meinem Gesicht auf und sortiere ihn direkt nach Groesse. Neben der Fahrtrichtung ist dabei die Windrichtung ein entscheidender Faktor fuer den Erfolg der Sammelaktion.

Nach ca 3h Fahrt haben wir jeweils 1kg 5mm/ 6mm/ 7mm/ 8mm/ 9mm und 10mm eingesammelt. Aus Gruenden der Nachhaltigkeit liefern wir die Saecke mit insgesamt 6kg beim Bauhof ab und erhalten umgerechnet 0,60EUR Pfand zurueck. Das hat sich gelohnt. Den Sprit bis zur Abgabestelle haben wir damit wieder rein. Super!

Nach der ganzen harten Arbeit haben wir uns eine Staerkung verdient. An einem gemuetlichen Speiselokal mit integrierter Mineraloel-Ausgabe-Station lassen wir es uns richtig gut gehen.

Die franzoesischen Baguettes mit einer Fuellung von wuerzig mariniertem Haehnchenfleisch aus biologischen Anbau, das sich, mit etwas Mayonnaise als Haftvermittler, eng an das halbe Salatblatt schmiegt sind zwar liebevoll zubereit aber leider in Folie verpackt worden.

Aus diesem Grund verbietet Mutti mir, einen Latte Macchiato im eleganten aber beschichteten Pappbecher zu kaufen.

Weiter geht‘s. Wir sehen Einheimische und stellen einmal mehr fest, dass das Verhaeltnis zwischen Hunden und Motorradfahren sowohl in der Tatra als auch im hiesigen Riesengebirge sehr angespannt ist. Ein Hund wird uns dabei besonders in Erinnerung bleiben. Als Mutti an ihm vorbeifahren will stuermt er mit gefletschten Zaehnen auf sie zu um kurz darauf zwischen den Speichern durch ihr schnell rotierendes Vorderrad zu springen. Hin und her. Die Speichen zerschneiden nicht nur das laute Geklaeffe zu einem Staccato. Auch der Schwanz wir kleingeheckselt. Der Pfiffi sieht jetzt aus, wie ein Ferkel mit Pelz.

An Muttis Hinterrad mit Kardanantrieb traut er sich nicht heran. Aber er hat noch nicht genug und versucht einen neuen Trick an meinem Hinterrad. Er verbeisst sich in mein Stollenprofil. Zum Glueck auf der linken Seite, sonst haette es hot dog gegeben, allerdings ohne Broetchen. Er nimmt die linke Seite. Das Ergebnis: er bekommt an der Hinterradschwinge einen neuen Scheitel gezogen und hat zwei mal Kontakt mit der Kette. Einmal oben und einmal unten. Das macht einen schwarzen Streifen auf dem Ruecken. Und einen auf dem Bauch. Jetzt sieht er nicht mehr aus wie ein Ferkel, sondern wie ein Stinktier. Was letzten Endes aber auch egal ist. Ich hoffe, er verletzt sich bei diesem Sport nicht irgendwann einmal.

Wie auch gestern zieht sich der Endspurt wie zerlaufener Mozzarella. Inge spricht von 2h20 bei verbleibenden 98km. Das kann je heiter werden. Aber dieses Mal ist die Strecke abwechslungsreicher und geht durch‘s Gruene. Ich fahre ausnahmsweise mal voran und demonstriere Mutti, wie man gleichzeitig nachhaltig und DSGVO-komform unterwegs sein kann. DSGVO bezieht sich in diesem Fall darauf, dass wir keine Einverstaendniserklaerung zur Uebermittlung unserer persoenlichen Daten an die deutsche Rennleitung unterzeichnen muessen. Wir fahren naemlich ordnungsgemaess und stellen bei dieser Gelegenheit eine Abweichung an Mutti’s Geschwindigkeitsmesser fest. Wenn ich mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit fahre, zeigt ihr Tacho vieeel mehr an. Wie geht das denn?

Waehrend wir die Voreilung von Muttis Tacho ueber Funktelefon diskutieren, ueberfahre ich um ein Haar einen Waschbaeren. Der hatte sich in einer Kurve auf den warmen Asphalt gelegt, alle Viere nach oben gestreckt und sich den Bauch von der nachmittaeglichen Sonne braeunen lassen. Er dachte wahrscheinlich, er sei neben der Spur. Tatsaechlich lag er aber genau drauf. Mutti kann die Katastrophe mit einem gekommten Swing Over Manoever gerade noch abwenden. 5min spaeter erreichen wir unser Zielgebiet.

Da nur Mutti‘s Inge die genaue Lokation unseres Hotels kennt, ich aber voraus fahre, wissen wir nicht mehr weiter. Doch ploetzlich spricht eine Stimme ueber das Intercom zu mir. Und ich weiss, wir sind gerettet. Kurz darauf erkenne ich, es ist Mutti. Ich folge dem suessen Klaeng ihrer lieblichen Stimme.

Gedaechtnissprotokoll

links: ICH | rechts: MUTTI


Geht‘s hier lang?
Nein
Ist das unser Hotel?
Nein
Links oder Rechts?
Nein. Hoer mir doch mal zu!
Ist das unser Hotel?
Nein. Fahr weiter!
Sind wir endlich da?
Ja. Fahr weiter!

15m vor dem Ziel verfahren wir uns noch mal und biegen in eine Sackgasse ein. An einem weiss-roten Poller kommen wir bergab auf einem Fahrrad-Trail zum Halt. Wenden auf engstem Raum. Mein MoFa hat zugenommen. Beinahe entgleitet es meinen schweissgebadeten Haenden. Mit letzter Kraft schieben wir die Mopeten auf den Hof des Hotels. Das Gerangel um den besten Parkplatz gewinnt Mutti. Ich kann nicht mehr.

Ab auf‘s Zimmer. Nachdem wir uns frisch gemacht, die Haare gefoehnt und gefaerbt haben, laufen wir in freudiger Erwartung zum Restaurant. Marika steht laechelnd im riesigen aber leeren Restaurant.

Wir: Is this the restaurant?

Marika: Ala card?

Sie gibt uns die Menu-Karte.

Wir: Yes, please. But is this the bar or the restaurant?

Marika: No. You go -1

Ok, gehen wir mal runter. Hier ist naemlich kein Mensch, gedeckt ist auch nix. Dann wird‘s wohl unten sein.

Unten ist der Wellness-Bereich. Hinter der Ecke ist Musik. Aha, ein Restaurant. Leer. Wir sprechen den jungen Mann hinterm Tresen an.

Is this the restaurant?

Die 3 Fragezeichen in seinem Gesicht sind eigentlich Antwort genug. Aber wir geben nicht auf.

You must go 0. This is -1. Near the reception.

Komisch. Da waren wir vor 2min. Sollen wir vielleicht auch noch ein Rosa Formular ausfuellen, bevor wir wieder nach oben steigen?

Das Restaurant ist immernoch leer. Es herrscht eine beaengstigende Stille. Vorsichtig befragen wir den Herrn an der Rezeption. Ich habe Angst vor der Antwort. Tatsaechlich, er zeigt auf‘s Restaurant. Hmm, da waren wir schon, vor 3min.

Er klaert das mal fuer uns. Danach koennen wir uns zur Entschaedigung einen Sitzplatz aussuchen. Die Wahl faellt nicht leicht. Ist ja alles frei. Marika ist verschwinden. Ich sehe sie, wie sie verlegen durch das Bullauge der Kuechentuer schaut. Ich glaube, sie traut sich nicht mehr heraus, heute Abend.

Stattdessen kommt Dominika. Ihr Englisch ist etwas besser. Ihr Textspeicher muss aber vor jedem Satz neu programmiert werden. Das verzoegert die Kommunikation etwas, weil sie dafuer immer an den Google Uebersetzer hinter der Kuechentuer angeschlossen werden muss. Irgendwie tut sie mir leid.

Nach dem Essen geht‘s nach draussen. Ich habe Bewegungsdrang. Und Mutti hat vesprochen, dass wir noch auf den Spielplatz gehen. Prima.

Mutti: „Uebertreib‘s nicht wieder!“

Natuerlich nicht. „Nicht uebertreiben“ ist mein zweiter Vorname. Trotzdem muss ich mit auf einen Verdauungsspaziergang durch das Dorf. Es geht steil bergab, dann ca 500 Hoehenmeter eine Treppe mit ergonomisch unguenstig tief gestalteten Stufen. Ich schwanke zwischen Trippeln und Weitsprung. Als ich mit haengender Zunge oben ankomme, ist Mutti schon eine halbe Stunde oben und hat nen Sonnenbrand bekommen. Trotzdem verkuendet sie freudestrahlend, dass dort oben die Schneekoppe zu sehen sei, 1605m ueber NN.

NEIN, kannst Du vergessen! Da klettere ich jetzt nicht mehr rauf. Ich habe gerade schon die Kalorien fuer morgen verbraucht. Es reicht. Was zu weit geht, geht zu weit.

Beschwingt taenzelt Mutti zurueck zum Hotel. Ich krieche auf allen Vieren nebenher. Auf dem Zimmer schnappt sie sich beide Fernbedienungen. Ich gehe also, leer aus und habe den Kampf um den besten Sender schon vor dem Einschalten des Fernsehers verloren.

Gut, dann schreib ich eben in mein Tagebuch. Zwei Minuten spaeter ist Mutti eingeschlafen.

Gute Nacht.

ATTN: Die Navigation wurde geaendert.

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VonVader

Ein Gedanke zu „Sport ist Mord“
  1. Haben heute nach dem Frühstück eure stilvolle Berichterstattung als Höhepunkt der Woche gelesen und genossen und dabei fast das Mittagessen verpasst.
    Vielen Dank dafür dass wir auf diese Weise an eurer spannenden Mopedreise dabei sein durften. Kommt morgen gut nach Hause!
    Liebe Grüße von Christine und Reinhard (Eltern von Muddi 😀).

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